Ausgewählte Aspekte der medizinischen Begutachtung

Eine sachgerechte Begutachtung setzt voraus, dass der/die Sachverständige nicht nur über tiefgreifende medizinische Kenntnisse und Erfahrung verfügt, sondern auch die Grundlagen der Begutachtung in den unterschiedlichen Bereichen, einschließlich derer rechtlichen Aspekte. beherrscht

Diese Kenntnisse müssen im Verlaufe der ärztlichen Tätigkeit erworben und nach Möglichkeit zertifiziert werden. Entsprechende Gutachterkurse werden von den Ärztekammern und Fachgesellschaften angeboten, gelegentlich in der Zusammenarbeit mit Versicherungsträgern.

Die wichtigsten Qualifikationen in Deutschland sind Medizinischer Sachverständiger (cpu - colonia postgraduate unit) in der Zusammenarbeit der GenRE, Ärztekammer Nordrhein und der philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, Qualifizierter Gutachter der DGNB (Deutsche Gesellschaft der neurowissenschaftlichen Begutachtung), Forensische Qualifikation.

Die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen bei den Gutachten bestimmen das besondere Vorgehen und eine individuellen Bearbeitung der Aufträge.

Zum Beispiel: Ein Gutachten auf dem Gebiet der Berufsunfähigkeitsversicherung (BUZ), das nach den Maßstäben des Gesetzes im Schwerbehindertenrecht verfasst und beurteilt wird ist wertlos da beide Bereiche unterschiedliche Rechtsgrundlagen haben. Damit ist das Ergebnis der Begutachtung falsch.

Der Gutachter muss sich demnach mit den jeweiligen Rechtsgrundlagen auseinandersetzen.

Wir unterscheiden grundsätzlich Zustands- und Zusammenhangsgutachten.

Zusammenhangsgutachten werden auf verschiedenen Rechtsgebieten erstellt. In der gesetzlichen Unfallversicherungen (GUV) ist z.B. festzustellen, ob zwischen einem Unfall, der Gesundheitsschädigung und den Folgen ein Zusammenhang besteht. Es gilt hier die Theorie der sogenannte "wesentlichen Bedingung". Im Zivilrecht findet die Adäquanztheorie Anwendung. Diese Rechtsgrundlagen müssen dem Gutachter auch bekannt sein.

Die Zustandsgutachten sind nur augenscheinlich weniger kompliziert, da in diesen Diagnosen und die sich hieraus ergebenden Leistungseinbußen herauszustellen sind. Die Zusammenhänge sind hierbei unerheblich.

Rentengutachten im Auftrag der gesetzlichen Rentenversicherung gehören dazu.

Der Gutachter erstellt anhand der Befunde und der hieraus resultierenden Diagnosen das sogenannte positive und negative Leistungsbild.
Das negative Leistungsbild beschreibt diejenigen Tätigkeiten, welche die versicherte Person aufgrund der krankheitshalben Beeinträchtigungen nicht mehr ausüben kann. Dies betrifft zum Beispiel Tätigkeiten in Höhe und die Arbeiten mit sonstiger Sturzgefahr und der damit verbundenen Selbst- oder Fremdgefährdung bei Epileptikern oder Patienten mit Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen. Epileptiker sind ferner nicht für die Tätigkeiten an gefährlichen Maschinen und in der Nacht sowie Wechselschicht (wegen der Gefahr einer Anfallsprovokation).
Das Positive Leistungsbild bei der gesetzlichen Rentenversicherung beschreibt das verbliebene Restleistungsvermögen.
Es kommt hier darauf an in welchem zeitlichen Umfang die in Frage kommenden Tätigkeiten des positiven Leistungsbildes ausgeführt werden können.
Eine volle Erwerbsminderung setzt voraus, dass die versicherte Person nicht in der Lage ist die dem positiven Leistungsbild entsprechende Tätigkeit im Umfang von mindestens 3 Stunden auszuführen.
Die Telweise Erwerbsminderung umfasst die Zeitspanne zwischen 3 bis unter 6 Stunden. Diejenigen, welche die in Frage kommende Tätigkeit 6 Stunden und mehr verrichten können sind nicht erwerbsgemindert, es sei denn das die sogenannten "KO-Faktoren" zum Tragen kommen.
Auch bei der zeitlich voll umfänglichen Tätigkeiten sind diejenigen Personen voll erwerbsgemindert die:

  • Zusätzliche, über die betriebsüblichen hinausgehende Pausen benötigen
  • Nicht in der Lage sind die Strecke von über 500 Metern vier mal täglich in der Zeit von jeweils unter 20 Minuten zurückzulegen
  • Die Feststellung, dass es vorauszusehen sei, dass die betroffene Person voraussichtlich mehr als die Hälfte der Jahresarbeitszeit arbeitsunfähig sein wird.
In den Rentengutachten ist somit auf das Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und speziell auf die verrichtete Tätigkeit abzustellen.
Die festgestellten Leiden müssen sodann hinsichtlich der hieraus resultierenden Beeinträchtigung in die funktionelle Ebene übertragen werden. Das System ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) wird noch nicht überall angewendet, so dass es von besonderer Wichtigkeit ist die Berufsbilder zu kennen, bzw. nach Bedarf zu erkunden.

Bei den Gutachten der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) muss berücksichtigt werden, dass die Einschätzung des Leistungsvermögen auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt auf 3 bis unter 6 Stunden bereits zu Rentenansprüchen führen kann, da in solchen Fällen die Gegebenheiten des Arbeitsmarktes i.S. der Verfügbarkeit berücksichtigt werden.

Die Gutachten in der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) sind wesentlich komplexer. Es muss hierbei nicht nur das genaue Berufsbild berücksichtigt werden, sondern auch die einzelnen konkreten Teiltätigkeiten, die sich aus dem zu begutachtenden besonderen Fall ergeben.

Die gutachtliche Einschätzung der Berufsunfähigkeit setzt, ebenso, wie bei allen gutachtlichen Fragen Kenntnisse der gesetzlichen Grundlagen und der Versicherungsbedingungen voraus.

Die Auftraggeber, BU-Versicherer teilen bei der Auftragserteilung mit, welche Versicherungsbedingungen dem Gutachten zugrunde zu legen sind.
Die meisten Versicherer wenden die klassche Definition der BU an.
Demnach ist die versicherte Person berufsunfähig, wenn sie infolge Unfall, Krankheit oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, nicht in der Lage ist die bisherige versicherte Tätigkeit auf nicht absehbare Zeit ununterbrochen länger als 6 Monate zu mindestens 50% auszuüben.

Entscheidend ist hierbei das konkrete Berufsbild, dessen Besonderheiten sowie:

  • Täglicher Arbeitsablauf vor und nach der Erkrankungen
  • Dauer der Erkrankung und derer Prognose
  • Kompensationsmöglichleiten der Beeinträchtigungen
  • Möglichkeit einer Umorganisation


Der allgemeine Arbeitsmarkt, gutachtliche Begriffe der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), des Versorgungsrechts (wie der Grad der Behinderung (GdB)des Gesetzes für Rehabilitation und Teilhabe des SGB IX, Grad der Schädigungsfolgen (GdS) des Versorgungsgesetzes, Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) der gesetzliche Unfallversicherung) finden in der BUZ keine Anwendung.

Zu beurteilen ist der Grad der Berufsunfähigkeit, dargestellt in Prozentzahlen.
Eine genaue Angabe des BU-Grades obliegt in der Regel dem Versicherer und wird aus den konkreten gutachterlichen Ergebnissen abgeleitet.
In den einfachsten Fällen ergibt sich die Möglichkeit den Grad der BU auszurechnen, wenn eine klare Abgrenzung der Tätigkeiten, derer Dauer und der Leistungseinschränkung der Einzeltätigkeiten möglich ist.

Der KfZ-Schlosser, der an einer Bewegung einschränkenden Krankheit leidet wird, abhängig von der Art der Tätigkeit unterschiedlich beurteilt. Wenn die Tätigkeit des Betroffenen zeitlich überwiegend mit dem körperlichen Einsatz verbunden ist, der sich auf Grund der Krankheit verbietet und wenn dieser die überwiegende Arbeitszeit in Anspruch nimmt, wird der Grad der BU hoch, voraussichtlich höher als 50% sein. Wenn sich in diesem Beruf nur geringfügig mitarbeitenden Betreiber einer Werkstatt handelt, der überwiegend Büroarbeiten tätigt, kann dann unter Umständen keine Berufsunfähigkeit vorliegen.

Das obige Beispiel lässt erkennen, dass bei der BUZ Begutachtungen ganz genaue Umstände der verrichteten Teiltätigkeiten bekannt sein müssen. Die besondere Sorgfalt gilt hier schon deswegen, um das Gutachten nach Möglichkeit präzise und objektiv gestalten zu können.

Bei einigen Versicherungen werden sodann Ermittlungen vorangeschaltet, im Rahmen derer besonders kompetente Mitarbeiter die versicherten Personen aufsuchen und die Einzelheiten derer Tätigkeit i.S. der Berufsbildes Prüfen.
Diese Erkenntnisse stellen nebst der erforderlichen, optimalerweise, kompletter Krankheitsvorgeschichte die Grundlage einer sachgerechten Begutachtung dar.

Mittlerweile liegen konkrete Begutachtungsrichtlinien vor, die sowohl den Ablauf der Untersuchungen definieren, als auch die zur Beurteilung erforderlichen Erkenntnisse.
Eine alleinige Diagnosestellung oder 1:1 Übertragung der Diagnosen in die mutmaßliche Leistungsminderung ist hierbei nicht ausreichend und auch nicht zulässig.
Erforderlich ist die Feststellung etwaiger, aus den Diagnosen resultierenden, Beeinträchtigung einzelner psychischer Funktionen und der daraus resultierenden Störungen der Partizipation.
Bei der Begutachtung kommen verschiedene Testuntersuchungen zur Anwendung, welche mit relativ hoher Sensibilität eine objektive Leistungsbeurteilung unterstützen.

Entsprechende Begutachtungsrichtlinien gelten auch für bestimmte Bereiche der Gesetzlichen Unfallversicherungen (GUV), einschließlich der Berufskrankheiten, für die privaten Versicherungen aber auch für einige anderen sonstigen Rechtsbereiche.

Auf dem Gebiet der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) ist auf die Feststellung des Grades der Erwerbsminderung auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt (MdE) gemäß SGB VII abzustellen.

Für bestimmte Art der Unfälle oder Berufserkrankungen liegen Begutachtungsrichtlinien (z.B. bei Schädelhirntrauma) vor. Die MdE wird auf Grund der erhobenen Befunde und anhand der in den maßgeblichen Lehr- oder Referenzbüchern veröffentlichten Tabellen eingeschätzt.

Die Private Unfallversicherung bestimmt die Folgen von Unfällen an den Extremitäten und sonstigen paarigen Organen nach eine sogenannten Gliedertaxe (Z.B. 3/7 Bein); im Übrigen wird der Grad der Invalidität (Leistungsminderung) prozentual angegeben. Die entsprechenden Prozentsätze im Bereich der gesetzlichen oder privaten Unfallversicherung und der GdS ( GdS der Schädigung im Versorgungsrecht) unterscheiden sich für den gleichen Schaden untereinander und sind ebenfalls den geltenden Tabellen zu entnehmen.

In der Begutachtung nach dem Schwebehinderungsgesetz (SchwBG - SGB IX) wird anhand der geltenden Versicherungsmedizin-Verordnung ein Grad der Behinderung (GdB) ohne Prozentangaben festgelegt. Die einzelnen zu beurteilenden Leiden sind in der VersMedV definiert und den Organsystemen (z.B: Nervensystem-Psyche, Herz-Kreislauf etc.) zugeordnet. Eine wichtige Besonderheit besteht darin dass die Einzelgrade der Behinderung nicht summiert und die Einzelgrade der Behinderung von 10 nicht berechnet werden.

Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer auf Grund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben, so dass es unbeachtet bleibt, ob der Arbeitnehmer noch in der Lage ist, eine sonstige Tätigkeit (z. B. Verweisungsberufe) zu verrichten. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn auf Grund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen.
Arbeitslose sind arbeitsunfähig, wenn sie aufgrund einer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Dabei ist es unerheblich, welcher Tätigkeit der Versicherte vor der Arbeitslosigkeit nachging.

In der privaten Krankenversicherung (PKV) liegt die Arbeitsunfähigkeit (AUF) vor, wenn die betroffene Person in keiner Weise, das heißt zu 100% in der Lage ist die zuletzt ausgeübte konkrete Tätigkeit auszuführen.

Für die Begutachtung ergeben sich erhebliche Konsequenzen. Eine arbeitslose Person ist erst dann arbeitsunfähig, wenn ihre Leistung auf ein "Rentenniveau" herabgesunken ist.

In der PKV besteht auch die AUF, wenn die Kerntätigkeit besonders betroffen ist. Z.B. ein Handelsvertreter, dessen Kerntätigkeit das Autofahren betrifft und der krankheitsbedingt kein Fahrzeug führen kann, wird auch dann arbeitsunfähig, wenn er theoretisch restliche Büroarbeiten verrichten könnte. Wenn eine PKV versicherte Parson krankheitsbedingt auf nicht absehbare Zeit in ihrem konkreten Beruf zu mehr als 50% erwerbsfähig ist gilt sie als berufsunfähig. Die Folge ist der Wegfall der Krankentagesgeldleistung.

Die Begutachtung stellt für die untersuchten Personen und für den Gutachter eine besondere Situation dar, die sich wesentlich von einer Patientenuntersuchung durch die behandelnden Ärzte unterscheidet.

Auf einer Seite steht ein Proband, der entsprechende Erwartungen und Hoffnungen mit sich bringt, auf der Anderen der Gutachter, der objektiv und emotionsfrei die Sachverhalte und ggf. Zusammenhänge zu klären hat.
Es kann hier manchmal, im Gegensatz zum Besuch beim vertrauten Haus- oder Facharzt, Eindruck einer geringeren Empathie oder verstärkten Sachlichkeit entstehen. Diese mögliche Empfindung bedeutet jedoch keineswegs, dass die untersuchte Person nicht akzeptiert oder respektiert wird.

Gutachten im Auftrag von gesetzlichen und privaten Versicherungsträgern, Privatgutachten, Gerichtsgutachten nach §109 SGG und einige Andere sind sogenannte Parteigutachten, da sie von einer Partei in Auftrag gegeben werden. Die überwiegenden Gerichtsgutachten erfüllen diese Merkmale nicht.

Parteigutachten bedeutet nicht parteiisch, da den Auftraggebern daran besonders gelegen ist, die Sachverhalte gründlich zu klären, da im Zuge aufwendiger Widerspruchs- und Gerichtsverfahren eine weitere Wahrheitsfindung erfolgen kann.

Den Auftraggebern ist somit nicht an "Gefälligkeitsgutachten" gelegen, da diese aufwendige Nachverfahren nach sich ziehen und Mehrkosten verursachen können:
Ein Gutachter verliert in solchen Fällen seine Glaubwürdigkeit, sein Ansehen und somit möglicherweise seine weiteren Aufträge.
Dies betrifft insbesondere die sogenannten "Gutachteninstitute", einigen von denen gelegentlich wirtschaftliche Abhängigkeit von Auftraggebern, überwiegend jedoch zu Unrecht, unterstellt wird.

An der hiesigen Praxis besteht eine Gutachtenstelle, die unterschiedlichste Aufträge von Gerichten, Versicherungen, öffentlicher Einrichtungen und auch Privatpersonen annehmen kann, sofern diese Aufträge in die hiesige Kompetenz fallen.

Eine wirtschaftliche Abhängigkeit liegt schon daher nicht vor, als die hiesige Praxis als Privatpraxis seit 28 Jahren sehr gut entwickelt. In 35 Jahren der Klinik- und Praxistätigkeit habe ich, mit der Unterstützung meiner Mitarbeiter, ca. 16.000 Gutachten und Stellungnahmen erstellt.